Ausstellungstipp in DNEWS24

Die Kunst, Kunst zu erkennen – Eine Retrospektive von Petra Fritz

Ist das Kunst oder Kitsch und wie definiert sich Kunst? Taugt Kunst als Kapitalanlage? Muß man Kunst verstehen oder darf man ein Bild, eine Skulptur, Installation, Collage einfach nur gelungen oder interessant finden? Erzählt tatsächlich jedes Werk eine Geschichte oder passiert Kunst ganz einfach als Ausdruck von Zeitgeist? Welche Trends deuten sich an und was versteht man unter NFT-Kunst?

Fragen über Fragen. Eine gute Gelegenheit sich einen Überblick zu verschaffen und Antworten auf die ein oder andere Frage zu finden, ist sicherlich der Besuch einer der wichtigsten internationalen Kunstmessen: Die „ART BASEL“. (wikipedia.org/wiki/Art_Basel)

Hier treffen Kunstschaffende, Galeristen, Kunsthändler, Kuratoren, Mäzene, Kunstsammler und Kunstliebhaber hautnah aufeinander.

Vom 16. bis zum 19. Juni 2022 trafen sich in der Schweiz rund 290 führende Galerien aus 40 Ländern und mehr als 4.000 Künstler um ihre Projekte und Werke vorzustellen und nach Möglichkeit auch zu verkaufen. Im Mittelpunkt steht dabei die sog. Zeitgenössische Kunst des 20./ 21. Jahrhunderts. Die Messe teilt sich dabei in sechs unterschiedliche Sektionen auf, ergänzt um rund ein Dutzend „Talks“ mit insgesamt 45 Redner und diversen Filmprogrammen.

Neben der Präsentation außergewöhnlicher Kunst in den Bereichen „Galleries“, „Feature“, „Statements“ und „Edition“ präsentiert die Messe unter dem Begriff „Unlimited“ dieses Jahr auch 70 großformatige Kunstwerke (monumentale Skulpturen und riesige Wandmalereien) sowie entlang eines Stadt-“Parcours“ 21 ortsspezifische Projekte.

Schon beim Vorabstudium des Programms schwirrt mir der Kopf. Aber angesichts der Vielfalt brauche ich zumindest eine Übersicht, um zu wissen, in welcher Halle wer, was ausstellt. So sind raumgreifende Projekte überwiegend in Halle 1 zu sehen, während sich in Halle 2 auf zwei Ebenen viele Stände führender Galerien mit großen Namen wie Arp, Banksy, Beuys, Richter, aber auch Fotokünstlern und Newcomern vertreten sind. Hier befindet sich in der Mitte auch eine Snack-Bar. Weitere Foodtrucks findet man vor den architektonisch imposanten Gebäudekomplexen. Staunen macht Durst und bequemes Schuhwerk ist unbedingt von Vorteil, denn auf dem Rundgang kommen schon einige Schritte zusammen. Über manches kann man auch nur den
Kopf schütteln, vor allem die Outfits mancher Anwesender. Für mich sind schlampige Jogginghosen und runter getretene Schuhe jedenfalls kein Merkmal von Kreativität, Freigeist oder Künstlertum.

Viel wissen, um zu wissen, was man nicht weiß?

Angesichts dieser geballten Ladung „Kunst“ scheint diese Redensart einmal mehr zuzutreffen. Daher hatte ich mich bereits im Vorfeld mit einem befreundeten Schweizer Kunsthändler ein wenig zur Sache ausgetauscht. Interessanterweise hat dieser nicht Kunst studiert und war nie als Künstler tätig (privat liebt er japanische Philosophie). Vielmehr profitiert er als „Vermittler“ offensichtlich von seinem Psychologiestudium, also darum zu wissen oder zu erfühlen, wie Käufer sprich Anleger so ticken. Oder sollte man ähnlich einem Dating-Portal sagen: dass das richtige Werk ideell und finanziell den richtigen Käufer findet? (loma.ch/home-1)

Gerade in sozio-ökonomischen Extremsituationen wie Überflussgesellschaften oder Krisenzeiten scheint der Kunstmarkt – analog zum Markenuhren- oder Diamantschmuckhandel – befeuert von Wertewandel, Inflation und Migration – immer mehr zu boomen. Dabei berichtet Andreas L. ganz offen, dass viele (qualitativ gleichrangige) Künstler mangels Ausstellungsgelegenheit, nie entdeckt werden. Ja, häufig sei die gesamte Künstlerkarriere einzig davon abhängig, zum richtigen Zeitpunkt, den richtigen (renommierten) Galeristen oder ein sonstiges Protégé zu treffen – Schicksal eben. Die Bedeutung der Privatsammler sollte man dabei nicht unterschätzen, denn es gibt Sammlungen deren Nimbus oder der Name des Sammlers bedeutender ist als die der einzelnen Künstler bzw. Kunstwerke.

Wie auch immer, u.a. ist dieses Jahr auf der ART BASEL mit Keith Haring auch einer meiner Lieblingsmaler mit einem Bild vertreten, das zwei Jahre vor seinem Tod (1990) entstand. Was mir an Haring gefällt, sind seine auch mal provokanten Bildinhalte, die er mit nur wenigen klaren Linien, fast comicartig und flächig in den Farben schwarz-rot oder schwarz-gelb auf die Leinwand bringt (der im Titelfoto gezeigte „Haring“ hängt in der „Fondazione Ghisla“ in Locarno).

Ein preiswertes Vergnügen ist der Besuch der ART BASEL allerdings nicht, denn eine Tageskarte schlägt mit CHF 65.- zu Buche. Aber was tut man nicht alles für die Kunst? Oder sollte es vielmehr heißen: Was tut die Kunst für uns, die Gesellschaft? Ja, die Messe ist überwiegend kommerziell ausgerichtet, was von einigen Gruppierungen kritisiert wird. Es gibt allerdings auch einige Gratis-Eindrücke, wie den besagten Sektor „Parcours“ kuratiert von Samuel
Leuenberger, der öffentlich zugängliche Kunstwerke in der Innenstadt von Basel zeigt. Auch auf dem großen Messeplatz heißt es „Out of Sight“. Dabei handelt es sich um eine interaktive Bodeninstallation des im letzten Jahr verstorbenen amerikanischen Künstlers Lawrence Weiner.

Ein bisschen folgt die Szenerie wohl auch dem Motto „Sehen und gesehen werden“. Zudem orientieren sich die verschiedenen Protagonisten häufig an kulturpolitischen Trends, d.h. thematisieren z.B. Rassismus, Identitätsfindung und Geschlechter-Mix oder den Ukraine-Konflikt. Spontan erinnere ich mich an eine Installation der Künstlerin Lorna Simpson, die verschiedene Haartrachten unterschiedlichster Kulturen abbildet. Anderswo finden sich eine riesige schwarze Spinne und anderes Getier, chaotisch gestapelte Stühle, etc. In der Tat ist es schwer, sich jeden Tag neu zu erfinden und was für den einen befremdlich erscheinen mag, ist für den anderen „hipp“. Aber genau diese Betrachtungsmomente oder kontroversen Auffassungen schaffen Raum für Dialog sowie dem Künstler Aufmerksamkeit und im Idealfall eine gewisse Individualität mit Wiedererkennungswert. Man trifft sich, man tauscht sich aus; sei es unter Fachleuten oder Amateuren.

Wie lebhaft die Verkäufe tatsächlich sind, lässt sich beim Besuch an einem Publikumstag nicht sagen. Die ersten beiden Tage sind ausschließlich geladenen Gästen und VIPs vorbehalten, und es steht zu vermuten, dass in dieser Atmosphäre die entscheidenden Umsätze getätigt werden. Aber eine Kunstmesse, die trotz brütender Hitze rund 70.000 Besucher anlockt, kann sicher zurecht als erfolgreich gewertet werden. Vor allem waren im Post-Corona-Jahr auch wieder führende Privatsammler aller Kontinente angereist. Auf dem Rundgang waren viele Sprachen hören, denn auch Kuratoren und Vertreter von über 200 Museen und Institutionen sind vor Ort, darunter Hochkaräter wie: The Bass (Miami), das Centre Pompidou (Paris), die Kunsthalle Rotterdam, das Metropolitan Museum of Art (New York), die Neue Nationalgalerie Berlin, das Palais de Tokio (Paris), das Solomon Guggenheim Museum, New York oder das Städel-Museum Frankfurt.

Quo vadis „Kunst“?

Aufgrund der Vielfalt von Objekten, Namen und Trends lässt sich für mich der Begriff „Kunst“ nach wie vor nur schwer systematisieren und gar kommentieren.

Bestimmen also die führenden Galerien und Museen mit ihren Einkäufen was hochwertige, aktuell relevante Kunst ist? Arbeiten viele Künstler – um von Ihrer Kunst leben zu können und internationale Beachtung zu finden – inzwischen nicht vielmehr für einen bestimmten Markt oder eine Art „Galerie-Label“, als sprichwörtlich frei-schaffend inspiriert zu sein? Warum bestimmt über die Hängung im Museum oder im sonstigen öffentlichen Raum fast ausschließlich ein Kurator und nicht der betreffende Künstler? Statt Antworten drängen sich mir immer mehr Fragen auf. Welche Bedeutung kommt mittlerweile den Gestaltungsideen der Digitalen Kunst zu, wie z.B. der NFT-Sparte? Steht der Kunstmarkt angesichts von
zunehmenden „Mondpreisen“ bei Versteigerungen tatsächlich vor der oft zitierten Wende?

Ein Wahl-Schweizer, der sich mittlerweile dem Trend „Non-Fungible-Token“ verschrieben hat und sicher einer der schillerndsten und umstrittensten Künstlerpersönlichkeiten unserer Zeit ist, war meines Wissens zuletzt 2016 auf der ART BASEL präsent: die Rede ist von Wolfgang Beltracchi.
(wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Beltracchi).

Der Ex-Meisterfälscher (geb. 1951 in Höxter, inzwischen wohnhaft in Meggen/ CH) hat auf seine Art Kunstgeschichte geschrieben und reihenweise Experten und Sachverständige genarrt – so perfekt waren seine Kopien diverser Malstile. Mehr als 300 seiner Fälschungen sollen nach wie vor in internationalen Museen und Kunstsammlungen hängen und erzielten seinerzeit Auktionsrekorde. Er selbst schweigt weiterhin dazu. Nach seiner Verurteilung zu einer 6-jährigen Haftstrafe im Jahre 2011 startete der Maler und „Alleskönner“ inzwischen seine zweite Karriere und ist bereits wieder eine veritable (Wirtschafts)Größe auf dem internationalen Kunstmarkt. Die seinerzeit anlässlich seiner Verurteilung auferlegte Zahlung von 20 Millionen EURO sei inzwischen längst getilgt. Kein Wunder, ist doch ein Bild von ihm nicht unter EURO 100.000.- (kleines Portrait) zu haben, ein Großformat nur in Millionenhöhe. Und das, obwohl er weder auf großen Auktionen, noch in Galerien vertreten ist (machte aber zuletzt mit seiner Ausstellung „Kairos“ Furore). Folgt man den Gesetzen des Kunstmarktes ein wahres Phänomen. Dennoch bestimmt auch hier die Nachfrage den Preis. Er muss wohl potente Sammler-Freunde haben, die seine Kunstwerke schätzen und darauf vertrauen, dass sie weiterhin im Wert steigen.

Privataufträge nimmt er m.W. (fast) keine mehr an, um Zeit für neue eigene Projekte zu haben. Ich hatte vor dreieinhalb Jahren mal mit seiner Frau Helene Mailkontakt, um gegebenenfalls einen Portrait-Termin zu ergattern. Das hat leider nicht geklappt und würde mittlerweile auch den finanziellen Rahmen sprengen. Inzwischen bin ich immerhin in Besitz einer Druckzeichnung, die ich über seine Tochter Franziska Beltracchi auch als „Kunst-T-Shirt“ erhalten habe. Ich gedenke dieses bis auf weiteres nicht zu tragen, vielmehr ergänzend sein Original-Autogramm darauf einzuholen und beides in einem Glasrahmen aufzuhängen. Ein Hauch von Kunst für Jedermann. Die MOAT-Ausstellung in Meggen Mitte Juni d.J. hatte ich leider verpasst. Geld sei für ihn nicht alles, sein Gegenüber müsse ihm auch sympathisch sein, da er gute Gespräche während der Malphase schätze – so der Tenor anlässlich der 3SAT-Serie „Beltracchi porträtiert“ in 2017. Da war er der ein oder anderen „Promi-Plaudertasche“ auch mal „über den Mund gefahren“, was ich situativ
durchaus nachvollziehen konnte.

Soweit ich mich an einen Presseartikel erinnere, tut sich der 70-Jährige überzeugte Langhaarträger dem Wort „Stil“ eher schwer. Seiner Ansicht nach genüge es nicht, seinen eigenen Stil zu finden. „Von hunderten (Kunststudenten) bleibt meist nur einer übrig, der erfolgreich wird. Aber nicht, weil er so was Tolles macht, sondern weil er einen guten Vermarkter gefunden hat“. Hier schließt sich der kleine Exkurs, denn seine durchaus kritischen Ansichten über den aktuellen Kunstmarkt decken sich in etwa mit den o.g. Ausführungen meines Kunsthändler-Freundes. Wenngleich beide auf unterschiedlichen Seiten stehen.

Interessant: ausgerechnet der ehemalige Kunstfälscher Beltracchi produziert und verkauft nun unfälschbare digitale Kunst, besser bekannt als Non-Fungible Tokens (NFTs). Er scheint nicht nur ein unglaublich gutes Auge und ein Händchen für Pinsel und Stift zu haben, sondern auch immer ein Gespür für ein gutes Geschäft, ohne sich hinsichtlich seiner Kreativität „verbiegen“ zu lassen.

Für dieses neue Projekt hat Beltracchi seinen „Renaissance-Salvator-Mundi“ (das Leonardo da Vinci-Original erzielte 2017 die Rekordsumme von U$ 450.- Millionen) aus verschiedenen Originalen, Malstilen (à la Picasso, Van Gogh, Dali, Lichtenstein) und unzähligen Details zusammengesetzt. Entstanden sind so unglaubliche 4.608 Varianten, die alles Unikate sind und dezentral auf einer Blockchain gespeichert sind. Alle zusammen sollen einen Wert von 13.824 „Ether“ haben – einer Art Krypto-Währung. Aktuell wären diese „Tokens“ rund 55 Millionen Schweizer Franken wert. Laut Fachleuten sei so ein NFT für den Künstler auch nach dem Verkauf ein Geschäft, denn über die diversen Handelsplattformen wie Openseas oder Arttrade,
etc. erhält der Hersteller bei jedem Handwechsel eine Provision.

Wenn ich das Prinzip richtig verstanden habe, entspricht letzteres Vorgehen in etwa dem Verkauf von Fotorechten an einem Bild durch die verschiedenen Bilddienste wie Fotolia, Shutterstock oder Getty Images, etc. gemäß Kunsturhebergesetz. Die angestrebten Beträge erinnern mich allerdings eher an die
Ablösesummen von Profi-Fußballern. Hmm, ….

Im Internet finden sich tatsächlich bereits viele Links zu NFT-Plattformen, wo sich jeder selbst mit seinem Kunstwerk in Szene setzen kann. Vielleicht probiere ich es einfach mal aus – man weiß ja nie.

Über Kunst und Geschmack lässt sich offenbar weiterhin herrlich streiten!

Im nächsten Jahr findet die ART BASEL vom 15. bis 18. Juni statt. Die ART BASEL ist – ähnlich dem Louvre „Ableger“ in Abu Dhabi – übrigens auch in anderen Ländern zu Gast; dann als ART BASEL Paris (20. bis 23.10.2022), Miami (01.bis 03.12.2022) oder Hongkong (23. bis 25.033.2023).

Petra Fritz

Die Autorin ist von Beruf Dipl-Kfm (Uni Mannheim), Jahrgang 1960, verheiratet, wohnhaft in Speyer am Rhein. Sie war 4 Jahre Personalleiterin bei den US- Streitkräften (AAFES) in Stuttgart und Heidelberg, in Folge 12 Jahre tätig im Pharma-Management von BASF (Auslandsvertrieb), davon 18 Monate bei der Tochtergesellschaft Quimica Knoll in Mexico.

Seit 2002 ist Petra Fritz selbständige rechtliche Berufsbetreuerin (Vormund) und Verfahrenspflegerin für die Amtsgerichte Speyer, Ludwigshafen und Germersheim (teils ehrenamtliche Fallberatung).

Privat war Petra Fritz Leistungssportlerin im Eis- und Rollkunstlauf (u.a. Profi-WM 1978 und 1979), später 14 Jahre lang Vize-Präsidentin des Rheinland-pfälzischen Eis- und Rollsportverbandes sowie Repräsentantin „Frau im Sport“. Heute ist sie in der Freizeit gerne auf dem Wasser und auf Ski unterwegs. Ansonsten vielseitig interessiert und seit 2012 auch wieder semi-professional als Bestager-Model, Darstellerin, Moderatorin und Bloggerin für „Topagemodel.de“ tätig. Petra Fritz hat das Buch „Mittendrin statt nur dabei“ veröffentlicht.

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