Die Grundrente ist Augenwischerei

Die Bundesregierung hat nach zähen Verhandlungen die Grundrente beschlossen. Falsch, sagt Uwe-Matthias Müller im Interview mit DNEWS24.

DNEWS24: Die Bundesregierung hat die Grundrente beschlossen. Wie fällt Ihr Urteil aus?

Uwe-Matthias Müller: Ich freue mich für diejenigen, die auf das Geld der Grundrente angewiesen sind und es nun bekommen werden. Für alle anderen ist die Grundrente ein Fiasko. Übrigens gibt es bislang weder die technischen Voraussetzungen für die Umsetzung der Grundrente, noch ein Finanzierungs-Modell. Das ist abenteuerlich.

DNEWS24: Warum ist die Grundrente ein Fiasko?

Uwe-Matthias Müller: Die Grundrente doktert an den Symptomen eines kranken Renten-Systems in Deutschland. Es rettet die Rente nicht. Gefährlich ist der schwache Kompromiss zur Grundrente, weil die Bundesregierung den Bürgen nicht die Wahrheit sagt sondern so tut, als ob nun alles gut sei. Ist es aber nicht.

DNEWS24. Woran krankt das Renten-System in Deutschland?

Uwe-Matthias Müller: Dazu gibt es ein paar einfache Fakten. 1979 betrug die Rentenbezugsdauer 11,1 Jahre. Heute – 2019 – ist die Lebenserwartung so gestiegen, dass die Rentenbezugsdauer 19,7 Jahre währt. Das Renteneintrttsalter ist in den 50 Jahren mit 64,2 Jahren aber sogar ein klein wenig gesunken. Gleichzeitig steigt die Zahl der Rentner und sinkt die Zahl der Beitragszahler. Also: immer mehr bekommen immer länger Rente, die von immer weniger finanziert werden soll. Das geht nicht gut.

DNEWS24: Die Renten-Kommission der Bundesregierung arbeitet doch an dem Thema.

Uwe-Matthias Müller: Die Renten-Kommission hat die Vorlage ihrer Arbeitsergebnisse verschoben, weil die Kommissions-Mitglieder sich nicht auf Handlungs-Empfehlungen einigen können. Zudem sind – wie man aus Berlin hört – viele Kommissions-Mitglieder frustriert weil sie nicht mehr glauben, dass die Bundesregieung den Mut für eine tatsächliche Renten-Reform aufbringen wird.

DNEWS24: Was ist mit der Opposition im Bundestag?

Uwe-Matthias Müller: FDP, Grüne und Linke haben ein paar Reform-Ideen, die sicher in die richtige Richtung gehen. Die größte Oppositions-Partei, die AfD, hat überhaupt kein Rentenkonzept und will dies erst im April 2020 beschliessen. Allerdings ist dort das vorliegende Konzept des Vorsitzenden Jörg Meuthen, das tatsächlich umwälzend wäre, wohl nicht durchsetzbar, weil die starken Ost-Verbände der AfD strikt dagegen sind. Insgesamt fehlt es den Politikern einfach an Mut, den Bürgern die Wahrheit zu sagen.

DNEWS24: Was ist denn Ihre Wahrheit?

Uwe-Matthias Müller: Der 1957 von Konrad Adenauer geschaffene Generationen-Vertrag hält den Veränderungen, die der demografische Wandel und die Digitalisierung der Arbeitswelt bringen, nicht stand. Wir brauchen eine völlige Umstellung des Renten-Systems auf die Komponente Grundsicherung, die steuerfinanziert ist. Die zweite Komponente ist die steuergeförderte Eigen-Vorsorge, die aus den Teilen Private und Betriebliche Altersvorsorge besteht. Dabei darf die gescheiterte Riesterrente nicht fortgeführt werden. Vielmehr muss es für die Bürger klare Anreize geben, sich mit Fonds und Aktien an der Wirtschaft zu beteiligen. Das führt übrigens nicht nur zu langfristig höheren Ergebnissen für die Bürger, sondern auch zu mehr Mitsprache in den Unternehmen.

DNEWS24: Glauben Sie, dass eine derartige System-Umstellung kommt?

Uwe-Matthias Müller: Die Parteien, die jetzt im Bund regieren, haben sicher nicht den notwendigen Mut und Weitblick dafür. Denken Sie nur an den Bundestags-Wahlkampf 2017. Da hat die CDU noch gesagt, alles sei fein, man müsse nichts an der Rente ändern; läuft doch. Die SPD hat ein Renten-Konzept bis 2025! vorgelegt. Geht man mit den Hoffnungen und Erwartungen der Bürger weiter so um, wird sich das an den Wahl-Urnen bitter rächen. Die ausgearteten Krawalle der Gelbwesten in Frankreich sollten hier eine Warnung sein.

DNEWS24: Herr Müller, vielen Dank für das Gespräch.

Fakten zur Grundrente

Was ist die Grundrente?

Rentnerinnen und Rentner, die ein Leben lang gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben, sollen für ihre Lebensleistung im Alter eine spürbar höhere Rente bekommen: Bisher niedrige Renten werden deshalb mit der neuen Grundrente aufgewertet.

Wer bekommt die Grundrente?

Rund 1,3 Millionen Rentnerinnen und Rentner, die in ihrem Arbeitsleben unterdurchschnittliche Verdienste erzielt haben, profitieren künftig von der Grundrente. Dies gilt für viele Frauen und Menschen in Ostdeutschland.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?

Anspruch auf Grundrente hat, wer mindestens 33 Jahre gearbeitet, Kinder erzogen und Angehörige gepflegt hat, aber im Durchschnitt wenig verdient hat – über die gesamte Zeit höchstens 80 Prozent des Durchschnittsverdienstes im Jahr.

Muss ich die Grundrente beantragen?

Ob ein Anspruch auf Grundrente besteht, wird automatisch geprüft. Ein Antrag ist nicht erforderlich.

Die Grundrente soll so zielgenau wie möglich ausgestaltet werden. Deshalb findet eine automatisierte Einkommensprüfung statt. Einkommen wird angerechnet, wenn es den Freibetrag von 1.250 Euro für Alleinlebende und 1.950 Euro für Paare übersteigt. Maßgeblich ist das zu versteuernde Einkommen. Kapitalerträge und ausländische Einkünfte werden ebenfalls angerechnet. Einkommen über 1.250 Euro (1.950 Euro bei Paaren) wird zu 60 Prozent, Einkommen über 1.600 Euro (2.300 Euro bei Paaren) wird voll angerechnet.

Wie hoch ist die Grundrente?

Die Grundrente kann maximal 404,86 Euro im Monat betragen. Ein Beispiel: Frau A. aus Dresden war 37 Jahre beitragspflichtig beschäftigt und hat etwa 40 Prozent des Durchschnittslohns verdient. Sie hat damit im Jahr durchschnittlich 0,4 Entgeltpunkte in der Rentenversicherung erworben. Ihre Altersrente beläuft sich daher nur auf rund 497 Euro (brutto). Mit der Grundrente bekommt sie zukünftig Altersbezüge in Höhe von rund 887 Euro.

Wie wird die Grundrente berechnet?

Grundlage sind die Entgeltpunkte (EP), die während des gesamten Versicherungslebens erworben wurden. Der Durchschnitt aller erworbenen Entgeltpunkte muss zwischen 30 und 80 Prozent des Durchschnittsverdienstes liegen (zwischen 0,3 und 0,8 EP). Diese Entgeltpunkte werden dann verdoppelt – maximal auf 0,8 EP. Anschließend wird der Wert um 12,5 Prozent verringert. Damit fällt die Rente umso höher aus, je höher die eigene Beitragsleistung ist.

Beispielrechnung für Frau A.:

durchschnittliche Entgeltpunkte (EP): 0,4 EP

Rente aus eigener Beitragsleistung:
37 Jahre x 0,4 EP x 31,89 Euro (Rentenwert Ost) = rund 497 Euro

Grundrentenzuschlag:
[35 Jahre x 0,4 EP x 31,89 Euro (Rentenwert Ost)] – 12,5 % = rund 390 Euro

Gesamtrente: 497 + 390 = 887 Euro (brutto)

Wie wird die Grundrente finanziert?

Die erforderlichen Mittel werden durch eine Anhebung des allgemeinen Bundeszuschusses zur Rentenversicherung aufgebracht. Dieser wird ab 2021 um 1,4 Milliarden Euro erhöht. Damit wird die Grundrente vollständig aus Steuermitteln finanziert. Die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler werden somit nicht belastet.

Welche Maßnahmen enthält das Gesetz noch?

Neben dem Kernelement des Gesetzes – der Grundrente – werden Freibeträge für langjährige Versicherung in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, der Grundsicherung für Arbeitsuchende, dem sozialen Entschädigungsrecht und im Wohngeld eingeführt.

Wer mindestens 33 Jahre lang in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert war oder vergleichbare Zeiten in verpflichtenden Alterssicherungssystemen erworben hat, soll bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen einen Freibetrag von mindestens 100 Euro und maximal 216 Euro (50 Prozent der Regelbedarfsstufe 1) erhalten.

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