Deutsches Mittelmaß

Seit Jahren wird es immer deutlicher: das Mittelmaß wird in unserem Land zum Maß aller Dinge! Egal wo man hinsieht, das Molto lautet: warum anstrengen, wenn es auch so reicht. Ein Kommentar von Sascha Rauschenberger.

Natürlich wollen wir immer nur das Beste. Individuell wie auch als Gesellschaft. Doch unter dem Strich, reicht uns immer öfter auch ein „gerade so“. Besonders dann, wenn wir verlernt haben, dieses „gerade so“ auch als Solches kenntlich zu machen. Zu sanktionieren.

Die Normen für das Sportabzeichen werden ständig und alle paar Jahre nach unten „angepasst“. Es gab mal eine Zeit, da musste man als Mann über 18 Jahren 10.000 Meter laufen, um die Langstreckendisziplin zu schaffen. Das wurde dann – nach dem Krieg irgendwann – auf 5.000 Meter reduziert. Nun gilt es, nur noch 3.000 Meter zu erfüllen. Das spart natürlich viel Zeit, die man dann anders nutzen kann, aber die Leistungs-Anforderung nimmt eben ab.

Schulnoten sind auch so ein Problem. Theoretisch reichen die von 1 (sehr gut) bis 6 (ungenügend). Nur gibt es da ministerielle Vorgaben eben diese SECHS nicht mehr zu verteilen. Das Wort „ungenügend“ könnte psychologisch als „persönlich nicht genügend“ gewertet werden, was natürlich nicht sein kann bzw. darf. Früher konnte es das sein. Durchaus auch so aufgefasst werden. Als persönlich völlig ungenügend erbrachte Leistung, die stark verbesserungswürdig ist. Und das sollte auch als persönliche Ansprache vom so Angesprochenen verstanden werden. So ganz individuell und persönlich gesehen. Und wenn der/die dann heulend auf dem Schulhof stand, wusste man als Lehrer, dass da zumindest noch ein gewisses Schamgefühl da war, diese Note kassiert zu haben. Heute denken die Neupädagogen eher an einen Nervenzusammenbruch des Schülers… Neupsychologisch geht das also nicht mehr. Da muss man motivieren. Ggf. auch mit dem Satz unter der Arbeit, dass das eigentlich kein „befriedigend“ wäre, aber man die Leistung der letzten Wochen (als Lehrer) nun SO anerkennend zum Ausdruck bringen wolle. Gern gekrönt mit der Bemerkung: „Gut gemacht! – Weiter so!“

Niveau-Nivellierung statt Ansporn. Konflikte vermeidend statt herausfordernd. Orientierung nach unten statt nach oben. Mitnehmen statt wegweisend.

Wertschätzung ist der Standard geworden. Nicht die Leistung, die der Wertschätzung vorausgegangen sein sollte. Wo früher schon der zweite Platz als Verlierer galt, egal wo, werden heute alle Plätze gleichbehandelt. Dabei gewesen zu sein ist wichtiger, als gesiegt zu haben. Und da siegen nichts bringt, ist auch der Wille sich für das Siegen anzustrengen im freien Fall. Am Ende wird doch sowieso jeder gelobt. Was soll es also?

So werden seit Jahren gute Leistungen relativiert und schwache Leistungen aufgewertet. Anstatt die Spitze zu fördern, wird das untere Leistungslevel schöngeredet und das Mittelmaß als Maß aller Dinge propagiert. Im Unternehmen gibt es die 10:70:20-Regel. Personaler kennen diese Formel. 10% sind unverzichtbare Leistungsträger, 70% sind Durchschnitt, die das machen, was sie sollen und die restlichen 20% sind … eigentlich überflüssiger Ballast, den man (oft arbeitsrechtlich) nicht loswird. Jeder kennt sie. Es gibt Kollegen, die werden vom Chef häufiger mal gefragt, ob sie das und das noch machen könnten und andere werden mit solchen Anliegen stets übergangen.

Und nun haben wir am letzten Sonntag gewählt. Wir haben Kandidaten vorgesetzt bekommen, die exakt das Bild abgaben, das uns als Gesellschaft auszeichnet. Eine schöne Auswahl an Mittelmaß in Punkten Ehrlichkeit und Bildung (Baerbock), opportunistischem Eigennutz sowie Vergesslichkeit (Scholz) und jemanden, der Farblosigkeit zu einer völlig neuen Farbe definieren konnte (Laschet). Wir schimpfen darüber. Lachen über solche Protagonisten. Ertragen es aber seit Jahren, dieses Mittelmaß über uns herrschen zu lassen. Und wundern uns aber dann über den Zustand unseres Landes. Wenn man im Sport die ursprüngliche Langstrecke von 10 Kilometer auf 3 Kilometer verkürzt, dann reduziert man auch das Zielerreichungstraining dafür von 10 auf 3 Kilometer. Wer von sechs Noten schon mal die letzten zwei ausklammert, macht keinen besser, schafft es aber, die Leistungsbewertung zur bloßen Harmonie-Duselei verkommen zu lassen. Wer als Mensch mit den 70% Mittelmaß im Unternehmen zufrieden ist wird feststellen, dass 20% des Bodensatzes es durchaus verstehen, die Ergebnisse der ober 10% Leistungsträger nach unten zu korrigieren. Für alle dann.

Und wenn wir als Gesellschaft das Politiker-Mittelmaß dann nur lange genug durchhalten, haben wir auch nur noch eine mittelmäßige Wahl. Mittelmäßigkeit garantiert gar nichts außer – Stagnation. Und wenn andere auch nur etwas wachsen (an sich und ihren Aufgaben) bedeutet es für die Mittelmäßigen einen Abstieg auf Raten.

Der letzte Wahlkampf sollte uns eine – LETZTE – Warnung sein.

Sascha Rauschenberger, geboren 1966 in Wattenscheid, ging nach dem Abitur zur Bundeswehr, wo er als Panzeraufklärer und Nachrichtenoffizier Dienst tat. Er diente, unter anderem als Reservist, in vier Auslandseinsätzen, zuletzt als Militärberater in Afghanistan.

Seit 2000 ist er als Unternehmensberater im Bereich Projektmanagement und Arbeitsorganisation (Future Work) tätig.