Der hippokratische Eid hat gehalten

Das war knapp. COVID19 hat unsere Gesellschaft auf die Probe gestellt. Bisher haben wir den Test bestanden. In der Krise Bewährtes muss jetzt fortgeführt werden. Von Uwe-Matthias Müller

Die große Gefahr der durch das Coronavirus COVID19 ausgelösten Pandemie ist die radikale Überlastung des Gesundheits-Systems. In Afrika zum Beispiel hat der Staat Äthiopien für 105 Millionen Bürger nur etwas mehr als 100 Intensiv-Betten mit Beatmungs-Geräten. In Deutschland haben wir für 82 Millionen Bürger etwa 30.000 vergleichbare Plätze.

Was tun, wenn es mehr Krankheits-Fälle als Behandlungs-Plätze gibt?

Zu Beginn der Pandemie lernte ich das Wort Triage und dessen Bedeutung kennen. Triage ist ein aus der Militärmedizin herrührender Begriff für die – ethisch schwierige – Aufgabe, etwa bei einem Massenanfall von Verletzten oder anderweitig Erkrankten darüber zu entscheiden, wie die knappen personellen und materiellen Ressourcen aufzuteilen sind.

Mich erinnert das an mein Gespräch, das ich vor einiger Zeit mit dem Chef des Sachverständigen-Rates zur Begutachtung der wirtschaftlichen Lage, Professor Lars Feld, führte. Wir sprachen über den demografischen Wandel und dessen gesellschaftliche Kosten. Professor Feld wies darauf hin, dass eine alternde Gesellschaft enorme zusätzliche Mittel für das Gesundheits-System aufwenden müsse und er nur hoffen könne, dass wir hier in Deutschland nicht irgendwann in Zukunft aus materiellen Gründen über die Notwendigkeit oder eben Nicht-Durchführung von medizinischen Behandlungen entscheiden würden.

Offenbar standen wir aber nun kurz vor genau diesem Entscheidungs-Druck. Für mich hat Triage eine Nähe zur Eugenik. Die Erbgesundheitslehre bezeichnet die Anwendung theoretischer Konzepte bzw. der Erkenntnisse der Humangenetik auf die Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik und wurde Ende der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts von der Regierung des 3. Reiches und des Rasse- und Siedlungs-Hauptamtes der SS in Kooperation mit vielen Ärzten für Euthanasie-Massnahmen („T 4“) missbraucht. Bis dahin war die Eugenik in vielen Ländern verbreitet. Aktuell gewinnt die humane Gen-Manipulation durch Forscher und Ärzte wieder an Bedeutung. Man denke an die Schaffung von Klonen im Tier-Bereich aber auch an die Forschung zur Bekämpfung von Schwächen, Erbkrankheiten, Miss-Bildungen usw.

Wir müssen froh sein, dass zumindest in unserem Land anscheinend die schlimmste Bedrohung durch COVID19 nicht eingetreten ist. In Frankreich, Italien, Großbritannien und den USA sieht das ganz anders aus. Und über viele sogenannte Schwellen-Länder wissen wir viel zuwenig, um das menschliche Leid dort richtig begreifen zu können. Die Bilder aus der lombardischen Stadt Bergamo, die Massengräber aus New York sind Menetekel.

Ich wünsche mir daher eine breite gesellschaftliche Diskussion über den Standard und den gesellschaftlichen Wert des Gesundheits-Systems in unserem Land. Mir ist jeder EURO lieb, der nicht in krude ideologisch-fundiert Pop-up-Radwege oder ähnlich nutzlose Projekte landauf landab verschwendet wird, sondern den Menschen im Gesundheits-System und der medizinischen Infrastruktur zu Gute kommt. Geld darf in unserer reichen Gesellschaft für das Leben und Überleben eines erkrankten Menschen kein Kriterium sein.

Gesundheit ist kein Wirtschaftsgut. Es ist Grundrecht. Und so muss auch künftig das Gesundheits-System angesehen, organisiert und finanziert werden.

Unsere Gesellschaft altert. Der demografische Wandel unseres Landes strebt unaufhaltsam seinem Höhepunkt zu. Wir brauchen diese Demografie-Debatte zur Gesundheit, wir brauchen sie jetzt.