Corona: Wann kommt die Krise in der Krise?

COVID19: Die Coronakrise ist ein Werte-Test für unsere Gesellschaft. Ein Kommentar von Renate Zott.

Als im Januar 2020 die ersten Meldungen über die neuartige Atemwegserkrankung COVID-19 über die Ticker gingen und sich in China rasch eine besorgniserregende Epidemie entwickelte, ahnte hierzulande sicher noch niemand, in welcher Geschwindigkeit und mit welchen Folgen sich das Virus weltweit ausbreiten würde. 3 Monate später hält es die ganze Welt in Atem, sterben viele Menschen daran, stellt es Politik und Wirtschaft vor völlig neue Aufgaben und Fragen. Die Herausforderung ist eine Neue. Uneinschätzbar in vielerlei Hinsicht, auch nicht absehbar oder beherrschbar, solange kein Gegenmittel gefunden ist.

Auch Deutschland hat es ganz eingenommen. Wir haben Corona-Pause. Nachrichten gibt es wenig, außer denen, die das Virus betreffen und die uns immer wieder deutlich machen, wie wichtig es ist, den Empfehlungen zu folgen und zu Hause zu bleiben, denn noch immer haben wir den Peak nicht erreicht; die Fallzahlen steigen besorgniserregend. Es muss also noch schlimmer werden, bevor es wieder besser werden kann. Doch die Mathematik tut sich schwer damit, zu berechnen, wann das sein wird. Zu viele Faktoren, zu viele Unbekannte. Es ist für uns alle eine verdammt schwere Zeit.

Wenn nun also die Eltern und Alleinerziehenden mit ihren Kindern zu Hause sitzen, die Singles und die alten Menschen, dann ist auch das ein schweres Los und jeden Tag mehr, den wir in unserer sozialen Verantwortung zu Hause bleiben müssen, eine Herausforderung Lebensalltag neu zu sortieren und zu gestalten. Noch wird in Artikeln das süße „Pausenleben“ hochgehalten und von „Corona-Spa“ berichtet. Auch von Kindern, die vorbildlich Schulaufgaben erledigen, während die Eltern konzentriert in ihrem Homeoffice fleißig an ihren PC’s sitzen. Tatsächlich mag dem ein oder anderen in diesen ersten Tagen der rosa-rote Alltag zu Hause gelingen. Mit Zeit für ein schönes Buch, Zeit für die Kinder, Zeit um Blümchen auf der Terrasse zu pflanzen. Aber was, wenn alle Bücher gelesen und einem die Decke buchstäblich auf den Kopf fällt. Kommt dann die Krise in der Krise?

Wir haben in Deutschland rund 17 Millionen Singe-Haushalte. Also Menschen, die alleine wohnen und raus gehen, um Menschen zu treffen. Ihre Freizeit nutzen, um im Fitness-Studio, in Restaurants, Bars und Cafés ihre sozialen Kontakte zu pflegen. Die tagsüber gerne an ihrem Arbeitsplatz sind, weil natürlich auch dort menschlicher Austausch stattfindet. Womöglich bringt die Isolation nach Wochen oder sogar Monaten echten Frust. Wie lange halten Menschen das aus? Und wie organisieren wir eigentlich vernünftig Kinder-Entertainment für 11 Millionen Kinder (0-14 Jahre), deren Eltern nicht von zu Hause aus arbeiten können oder so gut situiert sind, dass sie eine kindgerechte Betreuung gewährleisten können. Und ich denke an Eltern, die um ihre Arbeit fürchten müssen oder ihre Arbeit durch die Corona-Krise bereits verloren haben, nicht wissen, wie sie Miete und Lebenshaltung weiter bezahlen sollen. Nicht weniger schwer haben es Eltern, die weiter zur Arbeit gehen müssen und jeden Tag neu abwägen, wie sie die Jonglage zwischen Arbeit und Kind bewältigen. Nicht zuletzt bin ich auch überzeugt, dass es zu einem Zeitpunkt X auch Eltern gibt, die von der Situation schlicht und ergreifend überfordert sind. Es ist das eine, dass wir nun wirklich alles daran setzen müssen, die weitere Ausbreitung des Virus mit allen verfügbaren Maßnahmen zu verhindern, das andere, die Auswirkungen auf der nur allzu menschlichen Seite einer möglicherweise Monate andauernden sozialen Isolation zu sehen und auch darauf Antworten zu finden. Es liegt nahe, dass auch die vielen älteren Menschen unter uns irgendwann verzweifeln. Natürlich haben sie in ihrem Leben schon große Krisen überstanden. Viele von ihnen haben Krieg erlebt, haben Hunger und Not erlitten, aber auch viele Ängste. Viele von ihnen mussten in verdunkelten Kellern ausharren, wenn die Bombenangriffe kamen, haben auch schon Isolation erlebt, wenn auch in anderer Form. Das wird sie erinnern und möglicherweise Wunden aufreißen, von denen wir jetzt noch nicht wissen, wie wir sie heilen sollen. Auch sie wollen wir mitnehmen, durch die Krise.

Viele Experten sagen heute, dass der Zeitraum der sozialen Abstinenz nicht vorausgesagt werden kann und dass wir nicht weiter von wenigen Wochen ausgehen sollten. Bei den wenigen Außenkontakten, beispielsweise im Supermarkt, fällt schon auf, dass die Stimmung verhalten ist, Menschen angespannt in den Gängen stehen. Die Angst vor dem unbekannten Feind macht die Runde. Ich persönlich bin überzeugt, dass wir erst am Anfang einer wirklich tiefgreifenden Herausforderung stehen, deren Wirkung und Auswirkung viele ungeahnte Folgen haben wird. Auch auf der menschlichen Seite.