Buch-Tipp: Reden und reden lassen

Meinungsblasen, Political Correctness, die Beanspruchung der Deutungshoheit durch Wenige und die Ausgrenzung von Andersdenkenden gefährden in hohem Masse die freiheitlichen Gesellschaften. Das neue Buch der Progress Foundation mit dem Titel Reden und Reden lassen will wieder das Bewusstsein für den hohen Wert der Meinungsfreiheit schärfen. Das Recht der freien Rede stellt einen zentralen Pfeiler jeder liberalen und menschlichen Ordnung dar – sofern sie mit Höflichkeit und Respekt auch gegenüber dem Andersurteilenden gepaart ist.

Die «offene Gesellschaft» wird derzeit von zwei Richtungen bedroht: Auf der einen Seite fördern die modernen Kommunikationsmöglichkeiten beleidigende und hasserfüllte Kommentare. Diese verhindern eine sachliche, argumentative Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Positionen. Auf der anderen Seite versuchen gesellschaftliche Gruppierungen, ihre Moralvorstellungen anderen Gesellschaftsmitgliedern aufzuoktroyieren. Sie setzen bestimmte Sprachregelungen durch und legen Themen- und Handlungsfelder als «politisch korrekt» fest bzw. schliessen sie als «politisch unkorrekt» aus.

Der neue Band der Progress Foundation möchte dagegenhalten. Reden und reden lassen zeigt anhand verschiedener konkreter Beispiele, wie die offene Gesellschaft durch Hatespeech und Sprachpolizei gefährdet ist. Und er entwickelt, angeregt durch Überlegungen von John Stuart Mill, Romano Guardini und Axel Honneth, eine Gegenstrategie, die sowohl das Faszinierende der Meinungs- und Handlungsfreiheit als auch eine innere Haltung der Höflichkeit und des Respekts gegenüber anderen Personen und ihren Ansichten neu beleben und entfalten möchte.

Politische Korrektheit: Ein irreführender Euphemismus

Der Band gliedert sich in drei Kapitel. Die Beiträge im ersten Kapitel erörtern die Bedeutung der Meinungsfreiheit und gehen Fragen nach wie beispielsweise: Mit welcher Haltung gehen wir in eine Debatte? Suchen wir nach der Meinung anderer oder sollen sie unsere Auffassung übernehmen? Der Verlust der Meinungsvielfalt wegen der Medienkonzentration wird hier ebenso diskutiert wie die Situation des Journalismus in Deutschland: die Entfremdung zwischen Medienschaffenden und Medienkonsumenten.

Das zweite Kapitel setzt sich mit der sogenannten politischen Korrektheit auseinander. Der so harmlos wirkende Begriff ist irreführend, denn er fordert ja nicht einfach das ein, was die meisten Menschen als korrektes Benehmen verstehen. Vielmehr drückt er ein übersteigertes Verständnis von Korrektheit aus, das zur Einengung oder sogar zur Ausschaltung der Meinungsfreiheit führen kann. Den Begriff als Euphemismus zu enttarnen, ist daher ein wichtiges Ziel des zweiten Kapitels.

Mit Höflichkeit gegen die Verrohung der Debattenkultur

Wie kann die Debattenkultur wieder gestärkt werden? Mit dieser Frage beschäftigt sich das dritte Kapitel. Die Verrohung der Gesprächskultur im Internet hat teilweise dazu geführt, dass die eigene Meinung nur noch im privaten Umfeld geäussert wird. Das bedeutet nichts anderes als ein Rückzug von der Polis. Eine lebendige Demokratie lebt aber gerade vom Wettbewerb abweichender Meinungen. Dissens hält sie am Leben. Alles andere ist Meinungsdiktatur und kann letzlich in politische Diktatur münden.

In einer gesunden Debattenkultur sieht man im Gegenüber in erster Linie den Menschen, losgelöst von seinen Auffassungen und Irrtümern. Das ist Ausdruck von Höflichkeit und Respekt. Wer in einen Dialog mit anderen treten will, sollte sich deshalb zunächst selbst im Klaren sein, von welchen Grundwerten er oder sie ausgeht. Werden meine Fragen und Befürchtungen vom Gegenüber ernst genommen? Nehme ich die Fragen und Befürchtungen meines Gegenübers wahr? Die Höflichkeit wurzelt in der Würde der menschlichen Person und sorgt für ein gutes Zusammenleben der Vielen.

Hier finden Sie eine Leseprobe.

Die Herausgeber

Gerhard Schwarz ist Präsident der Progress Foundation. Davor war er Leiter der Wirtschaftsredaktion der Neuen Zürcher Zeitung und Direktor der Denkwerkstatt Avenir Suisse.

Stephan Wirz, Prof. Dr. theol. habil., Dipl. sc. pol. Univ. Stephan Wirz ist Titularprofessor für Ethik an der Universität Luzern. Von 2007 bis April 2020 leitete er den Fachbereich Wirtschaft und Arbeit der Paulus Akademie.

Das Buch ist bei NZZ Libro erschienen und kostet 34,00 CHF.