WikiPetra – Reportagen, Hintergrund-Analysen und Kommentare von Petra Fritz in DNEWS24.

„Berliner Luft“ in Atemnot

Eigentlich wollte ich mieses Karma vermeiden und künftig keine Kommentare mehr zur Corona-Situation abgeben. Eigentlich! … aber diese aktuellen Informationen erscheinen mir wichtig! Von Petra Fritz

Erstmals fand Ende Juni auf der legendären Berliner Waldbühne wieder ein Konzert statt. Die berühmten Berliner Philharmoniker traten nach der durch Corona bedingten Absage in 2020 am 26.06.2021 als Pilotprojekt an, um die Kultur wieder zum Leben zu erwecken. Bei perfektem Wetter sollte es ein Fest werden, es wurde – nun ja – ein Versuch aus dem Stimmungstief heraus zu kommen.

Um alle Auflagen und Sicherheitsabstände zu erfüllen, wurden statt der üblichen 18.000 Karten nur zirka 6.000, also ein Drittel angeboten bzw. verkauft. Aber nur rund 5.000 Besucher waren tatsächlich gekommen. Kein Wunder, daß über 1.000 Plätze leer blieben, mußte man zur Erlangung des Zutritts doch so manche Hürde überwinden bzw. mehr als ausdauernd und belastbar sein. Die Erlangung eines Platztickets bzw. einer Presseakkreditierung war da noch die leichteste Übung und der Veranstalter sehr bemüht, um einen reibungslosen Ablauf. Zumal die ursprünglich für den 20.06. geplante Veranstaltung bereits abgesagt war und dann innerhalb einer Woche auf den 26.06.2021 verschoben wurde.

Pilotprojekt „BärCode“

Trotz Outdoor-Veranstaltung galt nicht nur die 3G-Regel. Gültig war ein Ticket nur in Verbindung mit dem sog. „BärCode“. Klingt niedlich, war aufgrund des Digitalzwangs aber eine beschwerliche Herausforderung für alle Beteiligten. In Besitz eines Impfpasses oder Genesenen-Nachweises zu sein, genügte nicht. D.h. man mußte bereits zwei Tage zuvor in Berlin die Dokumente in der Philharmonie oder beim Veranstalter persönlich digitalisieren lassen. Für Nicht-Berliner oder im nahen Umfeld wohnende Konzertliebhaber ein kaum machbares Procedere. Alternativ konnte ein tagesaktueller PCR-Negativtest erbracht werden, der aber nur bei 10-12 bestimmten Einrichtungen in der Stadt erbracht werden konnte. Ergo hieß es lange Wege und viel Zeit in Kauf nehmen sowie gleich mehrfach Schlange stehen. Insbesondere vor dem Waldbühnen-Einlaß hatte sich bereits 1,5 Stunden vor Beginn der Veranstaltung eine zirka 500 Meter lange Warteschlange gebildet. Ich wollte unbedingt dabei sein und hatte schon mit einem gewissen Stau gerechnet, aber das? Spontan beschließe ich, mich erst gar nicht zur nahen Teststation in der Passenheimer Straße am Olympia Stadion zu begeben. Derart langes Anstehen bzw. statische Bewegung mag meine Bandscheibe nämlich gar nicht; zudem hat es etwas „Bittstellerisches“. Ein Nacheinlaß, um den Zugangsstau wenigstens etwas zu entzerren, war laut Ticket-Regel ausdrücklich untersagt.

Als meine Gedanken noch mit der Zutrittsentscheidung hadern, kommt mir zufällig ein älterer Herr entgegen, der etwas grummelt wie: „Nee, det hab‘ ick nich nötig“. Nun gut, es fand eine Taschenkontrolle statt, aber wozu eine Art Körperscann? Was bitte hat das mit „Corona-Sicherheit“ zu tun? Der brave Klassikfan als Vorläufer (ich vermeide bewußt das Wort „Versuchskaninchen“) für kommende geplante Großveranstaltungen? Auch das Mitbringen der bisher erlaubten eigenen Snacks war untersagt, stattdessen war nur die Mitnahme einer Halbliter-Plastikflasche gestattet. Aufgrund der langen Wartezeiten dürften die 500 ml Getränk bei den meisten Besuchern wohl schon vor Beginn geleert worden sein. Im Vergleich zur Gastronomie, wo die Leute bereits seit Wochen ohne Maske und Test sich ebenfalls längere Zeit vergnügen, mal wieder fragwürdige Auflagen seitens der Politik. Selbst Museumszutritte (bei ebenfalls auf ein Drittel begrenzter Personenzahl) sind ohne 3G möglich.

Amerikanische Kompositionen im Mittelpunkt

Ach ja, waren nicht alle gekommen, um sich der Musik hinzugeben? Das Orchester hatte es in Folge (gefühlt) eher schwer, gegen all diese Stimmungskiller anzuspielen und das, obwohl sich ein herrlicher rot-goldener Abendhimmel über das weite Halbrund der Waldbühne gelegt hatte.

Da mußte der britische Stardirigent und fabelhafte Pianist Wayne Marshall (im lila-weinroten Sakko) schon selbst mit viel Elan bei der „Rhapsody in Blue“ (ich liebe dieses 1924 von Gershwin komponierte Werk) in die Tasten greifen und Percussion-Spezialist Martin Grubinger ein Klangfeuerwerk abziehen. Letzteren hatte ich schon bei einer anderen Veranstaltung erlebt, wo er ebenfalls Begeisterungsstürme entfachte. Wohlweislich waren beschwingte Stücke von Gershwin, Bernstein und Williams (Komponist von Startrek) gewählt worden, statt schwerer „Klassik-Kost“.

Als dann als zweite Zugabe schließlich „Berliner Luft“ von Paul Lincke erklingt, darf auf Kommando dann doch noch mit geklatscht und an den einschlägigen Stellen mit gepfiffen werden. Und einige Zuschauer hält es (endlich) nicht mehr auf den Sitzen. Zu recht brandet anhaltender Applaus auf. Die Berliner können also noch feiern, wenn man sie läßt. War doch gerade dieses weltweit bekannte (Marsch)Lied von 1904 einst Synonym des freien Lebensgefühls.

Jenseits der Waldbühne

Mindestens ebenso gut schien mir die Stimmung am Waldrand gleich hinter dem Zaun; Luftlinie keine 40 Meter von der Bühne entfernt. Hier hatte sich ein Grüppchen Unverdrossener mit Sitzkissen und Proviant eingefunden und lauschte entspannt und sachverständig den virtuos gespielten Melodien des renommierten Orchesters mit dem feinen Strich. Man kennt das Ambiente des Amphitheaters der Waldbühne. Und wer die moderne Technik in Form von I-Pad oder Smartphone beherrschte, konnte dank TV- Übertragung nicht nur akustisch, sondern auch optisch der Liveatmosphäre ganz nahe sein. Mit Verlaub, auch ich habe trotz Freikarte und gutem Platz in der 5. Reihe letztlich diesen Randposten gewählt, weil ich mich nicht zum Sklaven solcher Test-Systeme machen lasse. So tut man der Kunst- und Kulturszene m. E. kaum einen Gefallen und richtet sie eher zugrunde. Mit dieser Haltung stehe ich offensichtlich nicht allein. Auch andere Presseorgane haben diesbezüglich ähnliche Aussagen eingefangen, die von „Augen zu und durch“ bis „nie mehr wieder“ reichten. Wie gesagt: zirka 1.000 Verfallkarten zum Preis von durchschnittlich mind. EURO 50.- p.P. sprechen für sich.

Haben bei der Wiederholung des Konzertes (dann mit Kyrill Petrenko am Pult) am 26.08. d. J. auch dann die „Außenseiter“ wieder die angenehmeren Karten? Zur Zeit ist noch offen, ob die Veranstaltung überhaupt stattfindet und wenn ja, in welcher Form. Dieses Mal wollte angesichts des komplizierten Zugangsprocedere nach meinem Dafürhalten die gewohnte Stimmung jedenfalls nicht aufkommen. Kunst an der ganz kurzen Leine bewußt erstickt in Vorschriften? Eine Dame mit der ich mir etwas overdressed einen mächtigen Baumstamm und ein Gläschen Wein teile, kommentiert dies so: „Ich bin infolge des Impfstoff-Wirrwarrs um Risiken, Verträglichkeit, begrenzter Wirksamkeit und Virusmutanten inzwischen schon dreimal geimpft … und dann das“.

Wenn dieses Projekt bzw. die Art der Durchführung zukunftsweisend sein soll, wäre das gerade für ältere Personen m. E. ein Schreckensszenario, das einer technischen und physischen Diskriminierung gleichkommt. Die wunderbare Welt der Digitalisierung wird gerne als Seniorenerleichterung gefeiert, faktisch aber führt sie in vielen Fällen ohne Hilfe Dritter eher zur Ausgrenzung. Man denke nur an das unsägliche Gerangel um einen Impftermin. Ohne einen versierten Umgang mit dem Smartphone ging in der Waldbühne jedenfalls nichts.

Besser als Nichts? Wie heißt es so schön: Das Gegenteil von „gut“, ist „gut gemeint“. Nach zwei Stunden und nur zwei Zugaben war alles vorbei. Was hat es da schon für denkwürdige Waldbühnen-Klassikkonzerte gegeben. Spontan erinnere ich mich an das Südamerika-Programm unter der Leitung des Venezuelaners Gustavo Dudamel. Die Leute standen auf den (bis dato frei wählbaren) Plätzen und forderten die fünfte oder sechste Zugabe; die auch bereitwillig erfüllt wurde.

Stillstand mag in unserer schnelllebigen, dem permanenten Wandel unterworfenen Welt gerne (leichtfertig) als Rückschritt bezeichnet werden. Aber m.E. es ist am Verbraucher, die Richtung zu bestimmen. Hier ist der im Voraus zahlende Kunde per Klick in meinen Augen nicht mehr „König“, er darf nur noch konsumieren, was man ihm gnädig vorsetzt. Will man das wirklich zur künftigen Normalität erklären? Ganz automatisch greift so eine gnadenlose „Kontroll-Digitalisierung“ um sich, die nicht nur viele Arbeitsplätze kosten wird. „Adieu“ praktische Tages-/Abendkasse. Es ginge auch anders, man muß es nur wollen. Ob ich diese Entwicklung zu kritisch sehe, wird die Zukunft zeigen.

Fazit: Operation gelungen, Patient (fast) tot.

Die Autorin

Die Autorin ist von Beruf Dipl-Kfm (Uni Mannheim), Jahrgang 1960, verheiratet, wohnhaft in Speyer und Locarno. Sie war 4 Jahre Personalleiterin bei den US-Streitkräften (AAFES) in Stuttgart und Heidelberg und in Folge 12 Jahre im Pharma-Management von BASF (Auslandsvertrieb) tätig, davon 18 Monate bei der Tochtergesellschaft Quimica Knoll in Mexico.

Von 2002 bis 2022 war Petra Fritz selbständige rechtliche Berufsbetreuerin (Vormund) und Verfahrenspflegerin für verschiedene Amtsgerichte in der Vorderpfalz. Seitdem widmet sie sich verstärkt ihrer Coaching- und Autorentätigkeit.

Privat war Petra Fritz Leistungssportlerin im Eis- und Rollkunstlauf (u.a. Teilnehmerin bei der Profi-WM 1978 und Top 10 1979), später 14 Jahre lang Vize-Präsidentin des Rheinland-pfälzischen Eis- und Rollsportverbandes sowie Repräsentantin „Frau im Sport“. Heute ist sie in der Freizeit gerne auf dem Wasser und auf Ski unterwegs. Ansonsten agiert sie seit 2012 auch als semi-professional Bestager-Model, Darstellerin, Moderatorin und Bloggerin für „Topagemodel.de“.

Petra Fritz hat das Buch „Mittendrin statt nur dabei“ veröffentlicht.