Angriffe auf Glaubenshäuser sind ein politisches Tabu… eigentlich, wie Halle zeigt. Von Sascha Rauschenberger

Wissenschaftlich gesehen, kann man aus der Geschichte nichts lernen, lernt man an der Uni in der ersten Stunde einer jeden Geschichtsvorlesung unisono. Das geht deshalb nicht, weil die zu dem damaligen Ergebnis führenden Prämissen und Umstände selbst in der Zeit einmalig waren und nicht reproduzierbar sind. Ergo bei gleichen Vorkommnissen durch andere Akteure heute dann wohl auch andere Folgen zu vermuten wären.

Doch der Ansatz greiftt zu kurz. Denn die Generalrichtung solcher historischer Ereignisse ist dann immer noch (folge)richtig, wenn es um Wirkungen geht, die selbst zu einer historischen Instanz wurden. Zu einem Wert. Zur allgemeingültigen Moral. Und dazu gehören Angriffe auf Gotteshäuser zum Zwecke politischem Aktionismus.

Und da wären wir dann beim Thema Glaubensunfreiheit, militanten Religionsgemeinschaften und politischem Radikalismus, der hier in Mitteleuropa eigentlich seit 1648 beendet gewesen ist (HIER). Und das aus gutem Grunde. Der 30jährige Krieg hatte Mitteleuropa und explizit die deutschen Kleinstaaten praktisch entvölkert. Breite Landstriche verwüstet und ganze Städte ausradiert. Die Einnahme vom protestantischen Magdeburg war ein Fanal. Ein historischer Meilenstein, der an die Invasionen von Vandalen, Hunnen und Mongolen erinnerte. Seitdem ist da Wort „magdeburgisieren“ ein Begriff.

Egal was wirtschaftlich, politisch oder sozial wer auch immer auf das Tablett bringen will, er kann unmöglich glauben, dass Gläubige in einem Gotteshaus als solche ursächlich dafür sind. Egal welcher Konfession. Egal ob Christentum, Islam, Hinduismus oder Judentum. Oder sonst eine Religion. Die Menschen, die sich im Glaubenshaus treffen sind in aller Regel dort, um zu beten. Zu wem auch immer.

Hier nun mit Angriffen eigene politische Ziele verfolgen zu wollen, ist nicht nur kriminell, es ist pervers, grotesk und absurd. Jeden Intellekt verunglimpfend. Jede Moral negierend. Jeden Wert brechend. Und insgesamt so weit neben allem stehend, was wir uns an gemeinverbindlichen, menschlichen Werten verlustreich erarbeitet und erkämpft haben.

Daher waren die Angriffe in der NS-Zeit auf eine Glaubensgemeinschaft auch so moralisch verheerend. Jeder wusste, dass Verfolgung aus religiösen Gründen eigentlich tabu war. Gerade die Protestanten in Europa, die im 16. Jh. ähnlich verfolgt worden waren, wussten das. Dennoch gab es über Jahrhunderte immer wieder Übergriffe auf jüdische Gemeinden in ganz Europa, vor allem im Osten.

So sollte also klar sein, dass Angriffe auf betende Gläubige alles andere als nur kriminelle Handlungen sind. Es hat auch nichts mit Verblendung zu tun. Oder einer Art „Radikalisierung“. Es ist schlichtweg eine Pervertierung dessen, was wir als menschliche Gesellschaft bis hier und heute erreicht haben. Egal ob es Kritik am Staate Israels ist, und hier gibt es jede Menge Kritik zu üben, egal ob es um die Geschäftspraxis vermeintlich jüdisch dominierter Unternehmen geht, und auch hier wäre durchaus Gesprächsbedarf wenn man sich beispielsweise die Bank GoldmannSachs ansieht, oder es sich um jüdische Einzelpersonen handelt, kann es NIEMALS sein, dies als Rechtfertigung für Angriffe auf Synagogen anzusehen. Oder auf Kirchen, Tempel, Moscheen und andere Gotteshäuser. Je nach Gusto, Denkrichtung und Ideologie. Dazu gehört aber auch, dass sich Religionsgemeinschaften nicht von sich aus damit profilieren sich in Politik einzumischen. Von der Kanzel herab weltliche Politik machen zu wollen. Auch nicht politischerseits und der Ideologie geschuldet in „geduldete Angriffe“ und „weniger geduldete Angriffe“ zu unterscheiden, wie es gerade in Berlin modern geworden ist. Auf welchem Auge auch immer blind zu sein. Es muss mit klarem Blick, uneingeschränkt und immer gehandelt werden, wenn Religion als Angriffsfläche für politische Ziele benutzt wird. Egal durch wen. Egal für was. Denn das steht IMMER außerhalb all dessen, was wir als Moral ansehen. Anzusehen bereit sind. Ansehen wollen und können!

Der Autor war selbst anno 96/97 in Bosnien und hat gesehen, wozu religiöser Eifer führen kann. Wie er einen Konflikt auch verschärfen kann. Er war in Afghanistan und sah die Trennlinie zwischen aufständischen radikalen Taliban und regierungstreuen Jihadi in den Uniformen der Polizei und Armee. Und lernte ihr Weltbild kennen. – Und er ist überzeugt, dass dieses Weltbild niemals unser sein kann. Wieder werden darf. Denn das hatten wir auch mal. Vor 1648…

Sich in die Gedankenwelt dieses Menschen hinein zu versetzen, der in Halle mordete,  fällt schwer. Es ist auch unnötig, ihn überhaupt verstehen zu wollen. Es gibt da nämlich nichts zu verstehen. Sogar als patriotisch geneigter Bürger aus der Region Halle kommend sollte GERADE der Fall von Magdeburg im Hirn präsent sein. Und dessen Ursachen. Aber dazu bedarf es eben Allgemeinbildung und nicht nur Fanatismus.

Ja, man kann aus der Geschichte lernen. Man muss es nur WOLLEN. Gerade bei Themen, die eine generelle Fortentwicklung unserer Gesellschaft bewirkt haben. Für diese Tat in Halle gibt es keine Entschuldigung, keine Rechtfertigung, keine mildernden Umstände und auch keine Nachsicht. Genauso wenig wie für andere Taten ähnlicher Art. Gotteshäuser sind tabu für politische Angriffe. Egal ob von außen kommend oder in ihnen oder aus ihnen heraus begangen. Auch das geht nicht und ist tabu. Auch hier ist zwingend Nachholbedarf zur Regulierung erkennbar.

Und noch eines: auch die Hexenprozesse von Salem taugten nicht, „Sünder“ und „Ketzer“ zu finden. Schwachsinn lässt sich nicht durch einen anderen Schwachsinn bekämpfen. Es schürt nur die Flamme dessen, was nach Rache schreit. Die Lösung kann nur auf klar vermittelten gemeinsamen Werte beruhen, die auf gemeinsame Tradition, Geschichte und Recht basieren. Diese müssen dann aber für alle gleich und verbindlich sein. Sonst gibt es keinen Zusammenhalt und keine Heimat.

Der Autor Sascha Rauschenberger

Sascha Rauschenberger, geboren 1966 in Wattenscheid, ging nach dem Abitur zur Bundeswehr, wo er als Panzeraufklärer und Nachrichtenoffizier Dienst tat. Er diente, unter anderem als Reservist, in vier Auslandseinsätzen, zuletzt als Militärberater in Afghanistan.

Seit 2000 ist er als Unternehmensberater im Bereich Projektmanagement und Arbeitsorganisation (Future Work) tätig.


Fotoquelle: Yusuf Simsek: „Tunnelblick“ http://simsek.ch/