Angela Merkel – die Deutsche

Ein Jahr noch – dann neigt sich die Ära Angela Merkel ihrem Ende zu. Es gibt noch viel zu tun. Schafft sie noch was? Zeit für einen letzten Weckruf. Ein Kommentar von Uwe-Matthias Müller

Im Herbst 2021 ist Schluss. Angela Merkel geht dann mit 67 Jahren in Rente. 16 Jahre Bundeskanzlerin, fast 2 Jahrzehnte CDU-Bundesvorsitzende. Eine lange Zeit, in der vieles möglich schien. Ein erstes Fazit der ersten und ewigen Kanzlerin, die so deutsch ist.

Angela Merkel ist deutsch. Deutsch ist, dann etwas zu tun, wenn es nötig ist. Wann etwas nötig ist zu tun, ist eine Sache der Definition. Angela Merkel definiert „nötig“ leider so, wie viele Deutsche, dann, wenn es brennt, wird die Feuerwehr geholt. Prävention, Vorausschau ist ihre Sache nicht.

Für diese These gibt es zahllose Beispiele

Es musste erst am anderen Ende der Welt im japanischen Fukushima ein Kernkraftwerk explodieren, bevor die selbsternannte Klima-Kanzlerin eine überstürzte und sinnlos teure Energie-Wende verkündete. Koordination in der EU? Fehlanzeige. Es mussten erst Tausende von Schülern Freitags die Schule schwänzen, bis die selbsternannte Klima-Kanzlerin Angela Merkel einräumte, jetzt sei ihr das Ausmaß des Klima-Wandels in das Bewußtsein gelangt. Es musste erst der EURO wackeln und Griechenland (mal wieder) in die Staatspleite zu schlittern drohen, bevor sie Milliarden-Hilfspakete schnürte und die EU-Troika in Marsch setzte. Es musste erst der Flüchtlings-Kessel zu explodieren drohen, bevor sie gegen den Rat aller Fachleute und über den Kopf aller EU-Kollegen hinweg unkontrolliert 1,6 Millionen Fremde in das Land ließ ohne sich darum zu kümmern, wie diese Massen verwaltet würden und wie die, die wieder in ihr Heimat-Land zurückkehren sollten, auch dahin abgeschoben werden könnten. EU-Abstimmung? Bis heute Fehlanzeige.

Die Reihe liesse sich fast beliebig lang fortsetzen. Interessant ist aber auch, welche Schwierigkeiten und Herausforderungen Angela Merkel bis heute nicht als der Lösung nötig ansieht. Welche Reformen sie versäumt und welches marode Erbe sie also dem neuen Bundeskanzler 2021 hinterlässt.

Reformstau

Die Coronavirus-Pandemie wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Luftfahrt-Gesellschaften und Autobauer, die die Trends der Gegenwart und Zukunft verschlafen haben, bauen nun massenhaft Arbeitsplätze ab. Siehe Lufthansa und Daimler, MAN und viele andere mehr. Die Infrastruktur in Deutschland ist teilweise so marode, dass wir noch hinter viele Entwicklungs-Länder in der 3. und 4. Welt zurückgefallen sind. Internet-Qualität und Digitalisierung der Verwaltung, Strassen, Brücken, Deutsche Bahn, Wohnungs-Bau… es sind zig Milliarden notwendig, um überhaupt auf einen durchschnittlichen Entwicklungs-Stand zu kommen.

Nur, wo sollen die Fachkräfte herkommen, die die Milliarden sinnvoll verbauen? Alle Bildungs-(PISA-)Studien zeigen ein ernüchterndes Bild von der Ausbildungs-Qualität unserer Schulen, deren niedriges Niveau oft nur noch von dem miserablen Bauzustand ihrer Gebäude unterboten wird. Und qualifizierte Zuwanderung von Fachkräften findet nicht statt. Deutschland ist für Ingenieure und Programmierer nicht interessant.

Frauenbild aus dem frühen 20. Jahrhundert

Endlich sind Mitarbeiter im Gesundheits-System und Pflege-Kräfte als „systemrelevant“ erkannt worden. Super! Und nun? Gibt es durch diese Aussage eine Pflegekraft mehr? Wird einer Frau auch nur ein Hauch von Sorgearbeit in der Familie abgenommen?

Technik, die nicht begeistert

Mit viel Brimborium ist vor einigen Wochen die Corona-Warn-App eingeführt worden. SAP, Telekom und die Bundesregierung klopften sich gegenseitig auf die stolzgeweiteten Schultern. Was für eine tolle App! Klar, ein wenig teuer, ein wenig spät, aber technologisch vom allerfeinsten. Bis jetzt bekannt wurde, dass die App gar nicht richtig funktioniert und damit nutzlos ist. Seit Wochen, eigentlich von Beginn an. Noch immer werden Schutzmasken verteilt, die fehlerhaft sind. Das Bundeswehr-Beschaffungsamt soll Schutzkleidung herbeischaffen, gleichzeitig wird eine private Firma beauftragt und erhält dafür einen zweistelligen Millionen-Betrag.

Deutschland ist nicht in der Lage, einen Flughafen zu bauen, investiert aber für die Baustelle des BER dreimal soviel Geld – sechs Milliarden EURO – wie eigentlich geplant. Die Elb-Philharmonie hat zwar nur eine durchschnittliche Akustik, dafür war die Kostensteigerung mit dem Faktor 10 (in Worten ZEHN) exzeptionell. Jahrelang wird eine PKW-Maut geplant, die dann innerhalb von Tagen von der EU einkassiert wird. Kosten für den Steuerzahler, also uns: mehr als 750 Millionen EURO; für nichts, für gar nichts. Der für das Maut-Desaster erstverantwortliche Politiker ist heute Chef der CSU im Deutschen Bundestag, der zweitverantwortliche unverdrossen Ressort-Minister in der Berliner Invalidenstrasse, der indirekt Verantwortliche ist Bundes-Innenminister. Alles bleibt, wie es ist, zahlen müssen die Bürger.

Vorsorge fehlt

Jeder 5. Deutsche ist von Armut betroffen. Das gilt für Kinder, Frauen, Männer, Rentner. Nicht für Pensionäre. Die private Altersvorsorge, die vom Staat gefördert wird, ist angesichts der verkorksten und teuren Gestaltung nutzlos, die Grundrente ein teurer und verkorkster Polit-Kompromomiss, Anreize für die Bildung einer Aktien-Kultur gibt es nicht. Dafür aber ein Aufsichts-System, das des Lesens von Zeitungen offensichtlich nicht mächtig ist. Oder wie ist sonst zu erklären, dass eine Firma wie Wirecard 3,5 Milliarden EURO vorgaukeln konnte, die es gar nicht gab? Weder Wirtschaftsprüfer noch BAFin haben über Jahre entsprechende Hinweise der Presse verfolgt. Die Deutsche Börse hievte Wirecard sogar in den prestigeträchtigen DAX. Und der Bürger auf der Strasse soll dann darauf vertrauen, dass Kontroll-Mechanismen funktionieren, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel für Wirecard in China wirbt, obwohl ihr Bundes-Finanzminister längst über den Verdacht von Unregelmäßigkeiten bei dem Aschheimer Unternehmen informiert ist?

Schließlich der demografische Wandel. Ihn gibt es in Westdeutschland, da war Angela Merkel noch Gymnasiastin in Templin in der DDR. Seit sie Bundeskanzlerin ist, was hat sie getan, um die Herausforderungen des demografischen Wandels in Deutschland zu meistern? Hat sie die Unternehmen dazu gebracht, sich auf die besonderen Fähigkeiten und Anforderungen einer älteren Mitarbeiterschaft einzustellen? Hat sie Bürger und Wirtschaft auf die Notwendigkeit einer altersgerechten Infrastruktur vorbereitet? Hat sie das Gesundheits- und Pflegesystem so ausgebaut, dass die mit einer längeren Lebenserwartung einhergehenden Veränderungen bewältigt werden können? Hat sie eine grundlegende Reform der Alterssicherungssysteme durchgeführt? Nein, nein und noch einmal nein. Sie hat nichts getan. Denn das Deutschland-Haus brennt noch nicht und Prävention, Vorausschau über aktuelle Krisen hinaus, ist die Sache der Angela Merkel nicht.

Staatsversagen institutionalisiert

Angela Merkel sorgt nicht für die Durchsetzung von Gesetzen. Ob es Verbrechen aller Art sind, die spät oder gar nicht gesühnt werden – ja manchmal nicht mal mehr verfolgt werden – , ob es Krawalle sind, Demonstrationen ohne Einhaltung von Coronavirus-bedingten Einschränkungen, ob es… ach, es ist mühselig, all das aufzulisten, was Deutschland zum Nachtwächter-Staat gemacht hat. Die Folge dieser rechtsstaatlichen Faulheit sind Pöbeleien und Angriffe auf Rettungs-Sanitäter, Feuerwehr-Leute und Polizisten. Das aber sind Bürger in Uniform, die sich im Stich gelassen fühlen. Denkt man das zu Ende ist Deutschland am Ende.

Angela Merkel ist mal als „Eiskönigin“ bezeichnet worden („stern“, 16. Juli 2015). Ist das die richtige Bezeichnung für eine Frau, die in ihrer Regierungs-Zeit nicht einmal Empathie für die vielen Kinder, die in Deutschland Pädokriminellen zum Opfer fielen, gezeigt hat?

Letzte Chance

Geben wir Angela Merkel noch eine letzte Chance. Wir haben sowieso keine andere Möglichkeit bis zur Wahl 2021. Hoffen wir, dass die Regierungs-Chefin die letzten Monate ihrer Kanzlerschaft nutzt, um Deutschland zukunftsfest zu machen.

Für ein Land, in dem wir gut und gern leben (wollen).