30. Januar 1933 und 2021

Der Tag der Machtergreifung war unspektakulär. Die Folgen des 30. Januars 1933 waren es nicht.

Am Montag, dem 30. Januar 1933 ernannte der Reichspräsident Paul von Hindenburg gegen 11.00 Uhr im Reichspräsidenten-Palais in der Berliner Wilhelmstrasse 73 den Partei-Chef der NSDAP zum Reichskanzler. Viele Reichsminister hatte das „Küchen-Kabinett“ von Hindenburg um den früheren Reichskanzler und neuen Vize-Kanzler Franz von Papen vorgeschrieben: den Außenminister, den Finanzminister, den Wehrminister. Die NSDAP durfte lediglich den Innenminister – Wilhelm Frick, Fraktions-Chef der NSDAP im Reichstag – stellen und mit dem Präsidenten des Reichstages Hermann Göring den Reichskommissar für die Luftfahrt. Ministerpräsident von Preußen wurde von Papen, Innenminister von Preußen Göring.

Koalitionspartner der NSDAP war die DNVP von Alfred Hugenberg.

Die neue Reichsregierung hatte – genauso wie ihre Vorgänger seit dem Frühjahr 1930 – keine parlamentarische Mehrheit. Dies sollte sich erst mit der Reichstagswahl am 5. März 1933 ändern. Die Hitler-Regierung wurde aber von den Parteien der bürgerlichen Mitte toleriert, wie sich an der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 erweisen sollte.

Hitler agierte in den folgenden Jahren zupackend und für viele Deutsche ziemlich erfolgreich. Für die meisten war der Abbau der Massenarbeitslosigkeit, ein behaglicher Wohlstand dank wachsender Löhne und Renten, Urlaube – organisiert durch „Kraft durch Freude“ und die vollständige Revision des von vielen so gesehenen „Diktats von Versailles“ Grund genug, Hitler zuzujubeln. Die Berliner taten dies noch massenweise, zu hunderttausenden, am 6. Juli 1940, als Hitler nach dem Sieg gegen Frankreich nach Berlin zurückkehrte.

Eine Stimmungs-Wende trat erst ein, als im Sommer 1941 im rückwärtigen Bereich der in Russland kämpfenden Wehrmacht einige Tausend Personen – Männer und Frauen! – in sogenannten Einsatzgruppen hunderttausende von Juden und politischen Funktionären ermordeten. Erst da wurden Offiziere der Wehrmacht wach und begannen, Hitler als Verbrecher zu sehen.

Aber wie war das möglich? Gab es vorher keine Warnzeichen?

Doch, diese Warnzeichen gab es und zwar zuhauf. Die meisten wurden in den Zeitungen auf Seite 1 oder im „Volksempfänger“ verkündet, denn die Nationalsozialisten waren stolz auf sie. Schon am Tag nach dem Brand des Reichstages am 27. Februar 1933 wurden viele sozialdemokratische und kommunistische Funktionäre in eiligst errichtete Konzentrations-Lager gesperrt. Am 1. April 1933 rief die Regierungs-Partei NSDAP zum Boykott gegen jüdische Geschäfte auf, am 10. Mai 1933 wurden in einer „Aktion wider den undeutschen Geist“ Bücher missliebiger Autoren verbrannt. Am 15. September 1935 wurden die „Nürnberger Gesetze“ vom Reichstag verabschiedet und von Hermann Göring verkündet. Im März 1938 mussten Wiener Bürger jüdischen Glaubens die Bürgersteige der Stadt mit ihren Zahnbürsten reinigen. Seit September 1939 lief die Aktion T4, ein Tötungs-Programm für „unwertes Leben“.  Seit Oktober 1939 wurden im besetzten Polen zehntausende Juden getötet, im Mai 1940 wurde in der Nähe von Krakau das KZ Auschwitz gebaut.

Aber erst mit der Niederlage der Wehrmacht in der Schlacht von Stalingrad und der damit einhergehenden Erkenntnis, dass der Weltkrieg nicht mehr durch aktives militärisches Handeln zu gewinnen sei, regte sich im deutschen Militär nennenswerter Widerstand. In der Zivilbevölkerung Deutschlands blieb dagegen Widerstand die ganz große Ausnahme. Die Gruppe „Weiße Rose“ in München und die „Edelweisspiraten“ in Köln sind leider rühmliche Ausnahmen geblieben.

Vielleicht konnte nicht jeder Bürger am Tag des 30. Januars 1933 erkennen, wo die Entwicklung hinlaufen würde. In den Wochen. Monaten und Jahren danach gab es aber ausreichend und für jeden sichtbare „Rote Linien“. Sie wurden vom Regime alle überschritten. Auch von den Bürgern, die sich an „Arisierungen“ beteiligten oder sich nachher für ihr Tun auf einen Befehls-Notstand hinausredeten.

Was hat der Tag der Machtergreifung 1933 mit uns im Jahr 2021 zu tun?

Wir dürfen nicht vergessen und müssen stets wachsam Signale aufnehmen und kritisch einordnen. In Amerika – den USA und Brasilien -, in Europa – Russland, Ungarn, Polen -, auch in der Türkei, gibt es populistische und autokratische, die demokratischen Verfassungen revidierende Regime. In Berlin grölen Quer“denker“ und vergleichen ihre Lockdown-Qualen mit der Erniedrigung, die Charlotte Knobloch und ihre Glaubens-Schwestern und -Brüder mit dem Tragen des Judensterns erlitten haben. Im Bundestag sitzt eine Partei, deren Abgeordnete Krawallmacher in das Gebäude des Reichstages schleust, wo sie dann Jagd auf Abgeordnete und deren Mitarbeiter machen.

Fällt irgendjemand etwas auf?

1933 galt und 2021 gilt: BÜRGER, SEHT DIE SIGNALE! WEHRET DEN ANFÄNGEN!

Der Autor

Uwe-Matthias Müller ist Gründer und Vorstand des Bundesverband Initiative 50Plus, des Bundesverband Initiative 50Plus Austria und Sprecher des European Center of Competence for Demography.

Bis 1996 hat er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in (West-)Berlin gelebt. Nach zwei Jahren im Ausland lebt er heute in Bayern.

Uwe-Matthias Müller kommt viel und gern nach Berlin. „Als Berliner auf Zeit geniesst man nur die Vorteile der Hauptstadt und kann die vielen Unzulänglichkeiten, unter denen die Bewohner täglich leiden, einfach ignorieren.“